Lockwitz galt schon vor vielen hundert Jahren als lohnendes Ausflugsziel. Um die durstigen Gäste zu versorgen, entstanden Gasthöfe und Brennereien in Lockwitz. Wir beginnen heute mit der Vorstellung dieser Lokalitäten, ihrer Besitzer und Anekdoten. Den Start macht der Obere Gasthof Lockwitz.
Die Geschichte des Oberen Gasthofs Lockwitz ist bis ins 15. Jahrhundert belegt. 1472 wird in einer Urkunde erwähnt, dass der Kretzschmar, also der Gasthof, ein Schock Groschen, vier Hühner und ein Schock Eier jährlich als Zins zu zahlen hat. Dieser Eintrag bezieht sich auf den sogenannten Oberen Gasthof, der heute nur noch als Parkplatz neben der Bäckerei Gehre besteht.

Der Gasthausbetrieb war anfangs noch gering. Es wohnten ja nur wenige Familien in Lockwitz. Deshalb gehörte meist auch eine Landwirtschaft dazu. Außerdem genehmigte der Erbherr von Lockwitz im Jahr 1621 dem Käufer Simon Schneider, seine Schmiede in den Gasthof zu verlegen. Von da an, ist stets eine Schmiede mit dem Gasthof verbunden. 1800 wird sie im Gerichtsbuch als „die zur Oberschenke gehörige Hofeschmiede“ bezeichnet. Andere Inhaber betrieben die Fleischerei, die noch bis 1938 durch Pächter ausgeübt wurde.
Der Name: Obere Gasthof Lockwitz
Schon 1670 wird bei einem Besitzwechsel außer dem Bier-, Branntwein- und Salzschank auch freies Backen und Schlachten und freie Schmiede als zu den „Gerechtigkeiten“ des Gasthofes gehörig aufgezählt. Das heißt, dies war ohne zusätzliche Genehmigung möglich. Der Name des Oberen Gasthofs bildete sich erst im späten 19. Jahrhundert heraus. Vorher hieß er nur Schenke oder auch Erbschenke. Erst nach der Errichtung der Schenke im Niederdorfe, dem heutigen Unteren Gasthof Lockwitz, wird sie Oberschenke genannt.
Von 1682 bis 1774 war die Schenke im Besitz der Erbherren. Das waren zu der Zeit die Familie von Schönberg und die Familie von Racknitz. Die Gastwirtschaft wurde von Pächtern bewirtschaftet. Einer der Pächter war für kurze Zeit auch der Vater des Chronisten Sülze. Gotthelf Friedrich von Schönberg baute 1692 das Schenkgebäude und 1694 Seitengebäude und die Ställe von Grund auf neu. Später ist der Gasthof zweifellos noch mehrfach umgebaut, erweitert und verändert worden. Chronist Samuel Grohmann schreibt, dass 1823 das ganze Gebäude abgeputzt wurde, die Gaststube eine Gipsdecke erhielt und dass 1835 in Richtung der Grundgasse, heute „Am Gückelsberg“ 13 Ellen angebaut wurden, „um im oberen Stockwerk einen schönen Tanzsaal anlegen zu können“. Seine letzte Gestalt hat der Gasthof aber wohl erst Mitte des 19. Jahrhunderts erhalten.
Öffentliche Gerichtsverhandlung
Vor dem Gasthof soll lange Zeit eine Linde gestanden haben, unter der nach den Erinnerungen des Ortschronisten Christian Sülze sogar öffentlich Gericht gehalten wurde. So berichtet er von Gerichtsverhandlung im 17. Jahrhundert gegen die Müllers-Ehefrau Marie Orisch aus Gaustritz, die ihren Ehemann in Notwehr erstochen hatte. Diese arme Frau wurde zum Tod durch das Schwert verurteilt, obwohl die Trunksucht ihres Mannes und dessen grobe Art weit über die Ortsgrenzen bekannt war.
Für den Ausschank von Bier bestanden besondere Vorschriften, eine Art Bier-Monopol. So mussten die Wirte ihr Bier aus den Städten Dresden und Pirna beziehen. Beide Städte wachten genau über die Einhaltung dieser Bestimmung. 1603 wird dem Wirt vorgeschrieben, das Bier aus den nächstbenachbarten Städten abzuholen. Ab 1621 legt der Besitzer, Erbherr und Hofmarschall Hans Georg von Osterhausen, fest, dass der Wirt nur Bier von der Gerichtsherrschaft ausschenken darf. 1775 wird sogar für jeden Fall der Zuwiderhandlung eine Strafe von 10 Thalern angedroht. Das heißt, die Ursprünge der Lockwitzer Schlossbrauerei sind im Jahr 1621 oder früher zu verorten.
Ausflugsziel in Lockwitz
Die Künstlerin Else Sohn-Rethel (1853-1933) erinnert sich in ihren Lebenserinnerungen, die im C.H.Beck Verlag erschienen, an einen ganz besonderen Ausflug im Winter 1865. Ziel: Der Obere Gasthof Lockwitz. Organisatoren einer rauschenden Schlittenfahrt waren Ferdinand von Miller (1842-1929), später Bildhauer und Direktor der Akademie der Bildenden Künste in München und Claudius Schraudolph (1843-1902) später Maler und Direktor der Königlichen Kunstschule in Stuttgart, die beide an der Dresdner Kunstakademie studierten.
15 bis 20 viersitzige Kutschen versah man mit Kufen und baute sie zu Schlitten mit jeweils zwei Pferden voran um. Außerdem wurden sie mit Tannengrün und bunten Fähnchen geschmückt. Um dem Ganzen noch einen herrschaftlichen Anstrich zu geben, steckte Millner Straßenjungen in eine von ihm entworfene bunte Livree, und malte ihnen die Gesichter mit Kohle schwarz, um so den Eindruck einer exotischen Dienerschaft zu erzeugen. Dann ging es in wilder Fahrt unter Schellengeläut und Musik vom Großen Garten über Strehlen und weitere Dörfer nach Lockwitz.

Im Oberen Gasthof war der komplette Tanzsaal gemietet worden. Nach ausgiebiger Kaffeetafel wurde bis in den Abend getanzt. Inzwischen waren die Schlitten mit bunten Lampions versehen worden . Die kleinen Diener bekamen brennende Fackeln in die Hand und so ging es nach Hause. „Konnte es eine schönere Winterfreude für verliebte junge Leute geben, als diese Schlittenpartie?“ schreibt Else Sohn-Rethel in ihren Memoiren. In die Feierlichkeiten mit einbezogen, war übrigens auch Herman Christian Freiherr von Kap-Herr, damals gerade Rittergutsbesitzer von Lockwitz geworden. Ein Freund der Familie, der den Großeltern von Else das Palais Oppenheim am Großen Garten in Dresden abgekauft hatte.
Abriß und Ende 1960
Warum der Obere Gasthof Lockwitz im April/Mai 1960 abgerissen wurde, ist heute kaum noch zu ergründen. Fakt ist, dass in dem Dresdner Ortsteil im 20. Jahrhundert viele Gasthöfe bestanden. Zu nennen sind: der Untere Gasthof, die Schenke der Kelterei Donath im Lockwitzgrund, die Likörfabrik und das Restaurant „Scharfe Ecke“, Wilhelms Restaurant Am Plan und Bellmanns bzw. Emmrichs Restaurant. Zwar hatte die Bevölkerung stark zugenommen, aber gerade der Freiplatz für die beliebten Gartenrestaurants fehlte dem Oberen Gasthof. So verlegten sich die Besitzer auf Theater und Kino-Aufführungen im großen Saal. In den 1930er Jahren war dieser Saal auch zunehmend Versammlungsort für Kundgebungen und wurde auch von später von der NSDAP für „Bürgerversammlungen“ genutzt.
Letzter bekannter Besitzer war 1940 Klempnermeister Bruno Schäfer aus Dresden. Die Gläubiger von Vorgänger Bernhard Große hatten 1937 nur knapp die Zwangsversteigerung abwenden können. Der Wert wurde mit immerhin 34.270 Reichsmark angegeben – ohne Inventar. Heute wären das 1,9 Millionen Euro, legt man die Kaufkraftäquivalente der Deutschen Bundesbank zu Grunde. Schlussendlich wurde dann verkauft. Schäfer starb am 24. Dezember 1948 in Dresden-Pieschen und hinterließ nur eine Erbin. Die Möglichkeiten in der DDR Zeit ein solch großes Etablissement zu führen, waren sicher begrenzt und Investitionen wären nach dem 2. Weltkrieg kaum möglich gewesen. Eine Nutzung als Kino scheiterte. So war das Ende des Gasthofs nach 488 Jahren besiegelt. Heute ist dort nur noch ein Parkplatz.
Bilder: Matthias Daberstiel, Archiv Heimatverein Lockwitz e.V.